das Ribiselbrocken … und der Marillenfleck

Teigspachtel #24 Marillenfleck (aus „Vollpension Kuchen von der Oma“, Pichler Verlag)

Mein Chef erinnert mich sanft daran, dass der Juni bald zu Ende geht und ich meinen Juni-Kuchen noch nicht gebracht habe. Stimmt! Also dann aber – ich suche den Marillenfleck aus. Nicht zu schwierig, bekannt, relativ schnell zu machen. Nachdem ich im Juni schon wirklich seeeehr viel gebacken habe, möchte ich es mir dieses Mal etwas leichter machen.

Die Zutaten für ein ganzes Blech scheinen mir zu wenig. Ich kann mich erinnern, dass man für so eine Art Obstkuchen eine Sandmasse nimmt, also Zucker, Butter und Mehl in gleichen Mengen und einige Eier aber wie viel davon, habe ich vergessen. Ich erhöhe spontan die Mengenangaben um 50 Prozent, das erscheint mir stimmiger. Der Teig ist schnell gerührt, ich lege die Marillen drauf, schummle einige Heidelbeeren darunter und ab ins Rohr.

Marillenkuchen im Ofen
Marillenkuchen im Ofen

Meine Gedanken wandern in meine Kindheit zurück. So ein Marillenkuchen (bei uns wurde er nicht Fleck genannt) war damals eine Art Standard in den meisten Haushalten. Ich fand den Namen „Sandmasse“ damals sehr lustig. Wahrscheinlich heißt er so, weil er irgendwie an Sandstrand erinnert. Mich erinnert er an Sommer, er wurde immer wieder gerne von vielen Müttern gemacht, mit Obst, das halt grad da war, mit Marillen, Zwetschgen, Kirschen oder Ribisel.

Bei Ribisel muss ich sofort an meinen ersten “bezahlten“ Job denken: das Ribiselbrocken. Ich muss ca. 12 Jahre gewesen sein oder 13, obwohl mit 13 Jahren half ich schon in einer Café Konditorei im Service aus. Das Ribiselbrocken, für Nicht-ÖsterreicherInnen das Pflücken, das Abernten von Johannisbeeren – war eine sehr anstrengende und vor allem tagesfüllende oder sogar wochenfüllende Tätigkeit. Dabei traf sich Jung und Alt in aller Herrgottsfrüh bei dem jeweiligen Bauern, dann wurde man mit dem Traktor oder eher hinten am Anhänger zum riesigen, scheinbar nie endenden Ribiselacker gebracht, mit Kübel ausgestattet, je 2 Stück pro ArbeiterIn, einer war zum Draufsitzen und einer war zum Befüllen. Und dann brockte man über Stunden und Stunden die – auf diesen Feldern immer schwarzen, nie roten Ribisel mit der Hand in den Kübel. Dabei war es wichtig die genau richtige Länge der Daumenfingernägel zu haben, denn mit diesem Nagel, der nach spätestens 2 Stunden die Farbe „ribiselschwarz“ hatte, musste man die Ribiselrebe einzeln vom Strauch abknipsen. Die einzelnen Beeren blieben auf der Rebe. Die schwarze Ribisel ist an sich größer, stabiler und fester am Strauch sitzend als die rote, dementsprechend anstrengend ist das Loslösen vom Stamm. Man teilte sich – als junger Mensch wurde man eher einer „erfahrenen“ Brockerin zugeteilt – eine Staude und arbeitete sich gemeinsam durch. Die Erfahrene war natürlich viel schneller und machte uns Jungen dementsprechend Druck, selbst auch schneller zu werden. War eine Staude fertig abgeerntet, nahm man seinen Sitz-Kübel und seinen immer schwerer werdenden Ribisel-Kübel und ging zur nächsten Staude. Wenn der Ribisel-Kübel fast nicht mehr zu heben war, holte irgendjemand diese Kübel ab und entleerte sie auf den Traktoranhänger, dann ging es weiter. Die Stauden waren in endlosen Reihen gesetzt und die Reihen waren auf endlosen Feldern verteilt. Viel geredet wurde nicht, denn man musste sich konzentrieren und vor lauter Kreuzweh von dem komischen Auf-dem-Kübel-sitzen und der komischen Handhaltung hatte man sowieso bald keine Lust mehr dazu. Wichtig war ein Sonnenschutz, also ein kleiner Hut oder so ähnlich als kleiner Schutz vor der sengenden Hitze, es war ja Hochsommer, und es war selten bewölkt an Ribisel-Brock-Tagen. Sonnenceme war damals – glaube ich – nicht so üblich.

Heute würde das wegen Kinderarbeit gar nicht mehr durchgehen. Oder wegen Ausbeutung. Manche haben wohl ein richtiges Kindheitstrauma entwickelt. Ich nicht. Also nicht daraus. Mir hat es irgendwie gefallen. Es machte einen erwachsen. Man verdiente sein eigenes Geld. Ich habe auch nicht die ganze Zeit daran gedacht, dass meine Schulfreundinnen jetzt vielleicht im Freibad liegen oder eher Badesee und Spaß haben, nein, es war absolut okay für mich. Am schönsten war dann trotzdem, wenn es hieß für heute sei Schluss und wir fahren nachhause. Dann ging ich kurz zu mir nachhause, ich weiß nicht mehr ob geduscht wurde, wohl eher nicht oder nur kurz durchgeatmet, vielleicht Hände gewaschen, aber die leichte Schwärze auf den Handflächen und die tiefe Schwärze unter den Fingernägel blieb ohnehin, und dann traf man sich nochmals beim Bauern zum gemeinsamen Abendessen, einer kalten Brotjause mit allen Köstlichkeiten, wie Speck, Geselchtem, Surbraten und Essiggurkerln. Dieses Essen war fester Bestandteil des Lohns, darauf wollte ich auf keinen Fall verzichten, auch wenn ich manchmal eigentlich zu müde zum Essen war. Und dann bekam man noch ein kleines Taschengeld. Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wie viel es war. Es war definitiv nicht sehr viel, aber anscheinend noch besser als es nicht zu haben. Einen kleinen Schaden dürfte das Ganze doch hinterlassen zu haben, ich konnte über Jahrzehnte keine Ribisel mehr essen, schwarze noch immer nicht – rote gehen inzwischen in kleinen Mengen. Und am Abend, wenn man endlich die Augen zumachte, fielen in endlosen Reihen schwarze Ribisel vom Himmel, so ungefähr wie 10 Jahre später die Tetris-Balken nach langem Computerspiel. Und doch macht uns alles stärker, was uns nicht umbringt. Es ist tatsächlich so.

Nun bin ich doch zuweit abgeschweift. Der Marillenkuchen – Gott sei Dank kein Ribiselkuchen – chillt also gemütlich im Backofen. Im Rezept steht ca. eine Stunde. Nach 30 Minuten werde ich nervös. Er ist hoch aufgegangen, ist eigentlich schon ziemlich braun und duftet. Die Zeit ist durch meine Gedanken an das Ribiselbrocken zu schnell vergangen, aber nach der halben Zeit den Kuchen rauszunehmen, kommt mir auch komisch vor. Nach kurzem Marillenkuchenaustauschtelefonat mit meiner Mama – hänge ich noch 5 Minuten dran – und es war die richtige Entscheidung. Ich überziehe ihn noch mit warm gemachter Marillenmarmelade, die mein Mann einige Tage vorher eingekocht hat, das glänzt dann immer so schön.

So wird er am nächsten Tag ins Büro mitgebracht, ich verteile ihn auf unsere 3 Firmen und ruck-zuck ist er aufgegessen. Er schmeckt wirklich wunderbar. Witziges Detail am Rande: ich habe ja schon einige viel kompliziertere Kuchen mitgebracht und da meine KollegInnen immer sehr beschäftigt sind, warte ich nicht wirklich auf großes Feedback. Aber dieses Mal, so einfach dieser Kuchen auch ist, habe ich viel positives Feedback bekommen. Vielleicht weil er an Sommer erinnert, vielleicht weil er an Kindheit erinnert, vielleicht einfach so, weil es heute grad passt. 🙂

Und nun für alle, die Lust auf einen Marillenfleck bekommen haben, das Original-Rezept aus dem Buch: VOLLPENSION | Kuchen von der Oma
Backweisheiten und Lebensrezepte

Vollpension Backbuch
Cover Vollpension

erschienen im Pichler Verlag:
ISBN: 978-3-85431-736-4 | 160 Seiten | Hardcover
19 x 24,5 cm | € 24,90 | Erscheinungstermin: 17.10.2016 (A) | 22.10.2016 (D) Hier versandkostenfrei für Österreich und Deutschland bestellen:  http://www.styriabooks.at/article/6054

Zutaten:

  • 200 g Butter
  • 1/2 Pkg. Vanillezucker
  • Schale einer halben Biozitrone, fein gerieben
  • 200 g Zucker
  • 4 Eier
  • 200 g glattes Mehl
  • 1/2 Pkg. Backpulver
  • 500 g Marillen
  • etwas Butter, Mehl oder Semmelbrösel für die Form
  • Staubzucker zum Bestäuben vor dem Servieren

Zubereitung:

  • Den Backofen auf 180 °C Ober-/Unterhitze vorheizen.
  • Die Butter erwärmen und cremig rühren, dann den Vanillezucker und die geriebene Zitronenschale dazumischen.
  • Nach und nach den Zucker und die aufgeschlagenen Eier abwechselnd einrühren. In einer anderen Schüssel das Mehl und das Backpulver zusammenmischen und dann unter die Masse mischen.
  • Ein Backblech einfetten und mit Mehl oder Semmelbrösel bestreuen und abklopfen. Die fertige Masse auf das Blech streichen.
  • Die Marillen entkernen, halbieren oder vierteln. Die Früchte mit der Innenseite nach oben auf den Teig legen und leicht andrücken.
  • Dann den Kuchen für ca. eine Stunde im Rohr backen und den ausgekühlten Marillenfleck vor dem Servieren mit Staubzucker bestäuben.

 

 

 

 

 

2 Comments
  1. Und mir hat es schon gereicht bei einer Goßtante, die ich nicht leiden konnte (sie war das was man eine bigotte alte Jungfer nannte) ein paar wenige Sträuche brocken zu müssen. Ist mir nie in den Sinn gekommen, dass es in dem damals unglaublich weit entfernten Land namens Niederösterreich, sogar ganze Felder davon gibt, die professionel abgeernet werden. Hut ab vor der 13 jährigen!

    1. Ja liebe Julia, so hart war das Leben bei uns damals, ehrlich gesagt, war ich glaube ich – noch jünger, aber wie im Beitrag geschrieben, es hat mich sicher, wie so vieles andere, gestärkt. Danke für dein Feedback!

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