Es gibt ja diese Menschen, die scheinbar alles haben, vieles wissen, eine ausgewogene work-life-balance schaffen, viele Interessen und genug gute Freunde haben, gesund sind, fit und vieles mehr. Oft bewundert und vielleicht sogar beneidet von anderen. Und genau so ist ER: charismatisch, groß, schlank, sportlich, gut aussehend, im besten Alter, jedermann mag ihn, schätzt ihn, er kocht sehr gut und gerne für sich und für andere, kann zuhören, reden, kann andere begeistern und motivieren, ist ein begeisterter Tourengeher, liebt den Sport und ist gerne outdoor unterwegs, auch mal abseits von gewohnten Wegen, weil er mutig ist und stark und selbstbewusst und selbstbestimmt und weiß, dass er das kann. ER hat so vielen Menschen geholfen, ihren Weg zu finden, auch beruflich beschäftigt er sich damit. Und ist immer ein guter Freund, er baut auf, wenn man grad selbst deprimiert ist, er gibt Tipps, damit es einem wieder besser geht und man versteht, ja, ER weiß wie es geht. ER steht mitten im Leben. ER hat es geschafft, er hat gefunden was andere vergeblich suchen.
Und dann – ich sitze gerade im Wartezimmer einer Arztpraxis – die Nachricht von einem Freund auf Whats App: „ER ist nicht mehr unter uns – ER hat sich entschieden zu gehen.“…. Aus dem LEBEN zu gehen. Ich lese die Zeilen, und mein erster Gedanke, den ich auch niederschreibe ist: „Das kann ich nicht glauben!!!!“ Es ist so unfassbar, so unbegreiflich. Ich bin in einer Art Schockstarre. Meine eigenen Probleme lösen sich gerade in Nichts auf. Wie ist das möglich? Wie verzweifelt kann ein Mensch sein, um „freiwillig“ aus dem Leben zu gehen. Freiwillig – gibt es das überhaupt? Wie freiwillig kann man entscheiden, sein Leben zu beenden. Das Ganze kann nur ein furchtbarer Irrtum sein, ein Unfall vielleicht, ja – schlimm genug – aber freiwillig? Ein – wie ich dachte glückliches Leben – beenden? Warum? Wie hoffnungslos und ohne jegliche Perspektive muss man sein, um so einen Gedanken zu fassen und noch schlimmer, ihn in die Tat umzusetzen? Und wie ist es möglich, dass es niemand wusste, oder er es nicht zuließ, dass man es wusste und auch keine Hilfe annehmen konnte. Ich fass es einfach nicht. Ich lasse den Arzttermin über mich ergehen, beim Behandlungsvorschlag löst sich meine Starre und ich breche in Tränen aus. Der Arzt versucht mich zu beruhigen….und sagt mir, dass das gar nicht so schlimm sei. Ja, das glaub ich schon, ich weine ja auch nicht deshalb. Egal. Wie kann man was erklären, was nicht zu erklären ist? Ich sag ihm was ich grade erfahren habe und er meint: „Er wird sicher seine Gründe gehabt haben.“ Ja, wahrscheinlich – ohne Grund – das kann ja wohl nicht sein. Aber gibt es einen so gewichtigen Grund, um für alle Zeit auf alle zukünftigen Freuden zu verzichten, auf alle Sonnenaufgänge und -untergänge, glückliche Tage, Abende und Nächte, die ja noch kommen hätten können?
Eine gemeinsame Freundin schlägt vor, dass wir, die Freunde – uns ganz bald treffen sollten – um gemeinsam über das Unfassbare zu reden, oder zu weinen oder was auch immer. Ich mach eine Linzer Torte. Die werde ich mitnehmen. Ich wollte mich mit IHM treffen, im März, und er wollte kochen und ich eine Torte mitbringen. Und er hat sich für die Linzer Torte entschieden. Mitten im Teig kneten kommt dann plötzlich die Wut und zu den Tränen aus Trauer mischen sich jetzt auch Zornestränen. Wie konnte er das nur machen? Wie kann er ein Treffen ausmachen und dann einfach nicht mehr da sein! Er war immer zuverlässig und pünktlich – und jetzt –auf einmal – nichts davon übrig. Er macht sich einfach davon – und lässt uns zurück. Gemeinheit !!!
Einen Freund durch einen Unfall zu verlieren ist sicher sehr tragisch, oder durch Krankheit – sehr traurig, vielleicht noch nach langer Krankheit, ganz schlimm. Aber einen liebgewonnen Menschen durch den von ihm selbstgewählten Freitod zu verlieren ist so schrecklich unfassbar. Und was waren wir für Freunde, die das nicht verhindern konnten? Ich hatte es ja gar nicht mal bemerkt, ich hielt ihn für sehr glücklich. Wir kennen uns seit ca. 25 Jahren, und auch wenn wir immer wieder jahrelang fast keinen Kontakt hatten, war sofort wieder alles da, wenn wir dann wieder Kontakt hatten. Mit ihm habe ich meine ersten (vernünftigen) Wanderschuhe gekauft und wir waren miteinander squashen und essen und tanzen auf einer Party. Er war jetzt gerade vor ein paar Wochen in eine neue Wohnung gezogen, er wirkte für mich einfach nur glücklich und zufrieden, ausgeglichen, mit sich selbst im Reinen. „I love my life“ – das waren seine letzten geschriebenen Worte an mich. Wie sollte ich auch etwas anderes denken? Und doch muss es anders gewesen sein. Ganz anders. Ich lese nochmals unseren Schriftverkehr und nochmal und seine FB-Seite, überprüfe seine Einträge, hat irgendetwas darauf hin gedeutet ? Hab ich was übersehen, nicht bemerkt, etwas zwischen den Zeilen vielleicht? Ich finde nichts. Eine liebe Freundin sagt: „Auf alle Fälle muss man auf die immer Fröhlichen schauen.“ Und da hat sie wahrscheinlich recht. Niemand kann in jemand anderen hineinschauen. Das habe ich jetzt bemerkt. Wieder einmal bemerkt, auf ganz traurige Weise.
Leb wohl lieber Freund! …Eigentlich stimmt das nicht mehr. Besser: irgendwann werden wir uns vielleicht wiedersehen!! Du fehlst uns – und wir behalten dich auf jeden Fall in ganz lieber Erinnerung !!