Teigspachtel #26 Kirschenmichel (aus „Vollpension Kuchen von der Oma“, Pichler Verlag)
Anfang August muss ich das mir selbst erteilte Sommer-Backverbot kurz aufheben, denn ich bin zu einer Jugend-Revival-Party, einer 80er-Jahre-Fete eingeladen. Also genauer gesagt, musste ich mich selbst einladen, denn die Veranstalterinnen haben einfach nicht an mich gedacht. Um ganz ehrlich zu sein, sie haben an mich gedacht, aber sie wollten über mich nur die Telefonnummer von meinem damaligen Freund, um ihn zur Party einzuladen. Na, nicht mit mir. So hab ich mich halt kurzerhand selbst eingeladen und bringe anstandshalber einen Kuchen mit. Da wahrscheinlich einige gute Kuchen zu der Party kommen, entscheide ich mich für einen Kuchen der etwas anderen Art und mache einen Kirschenmichel. Den wollte ich schon länger mal machen, aber leider ist meine Familie kein Fan von warmen Mehlspeisen und so packe ich die Gelegenheit beim Schopf.
Ich kaufe 10 frische Semmeln, nur um sie dann hart werden zu lassen. Tags darauf werden diese in warme Milch eingeweicht und das Ganze mit einem Butter-Zucker-Gemisch vermischt. Dann noch Dotter rein, eingelegte Sauerkirschen daruntergehoben und steif geschlagenes Eiklar, also Schnee, untergemischt. Ich bin nicht ganz sicher, wieviel ich von dem Kirschsaft verwenden soll, und ja, es ist dann doch etwas zu viel geworden. Dann wird die Masse 30 Minuten im Ofen gebacken und mit Staubzucker bestreut.
Es geht alles sehr schnell von der Hand und ich mag diese Art von Mehlspeisen sehr. Ich hatte im Gymnasium eine Freundin, bei der gab es immer freitags Suppe und eine warme Mehlspeise und einmal hatte ich bei ihr „Scheiterhaufen“ gegessen, das ist ja auch so ähnlich, nur mit Äpfel. Diese Mehlspeise kommt auch noch in meinem Projekt. Die warme zuckrige Verarbeitung von übrig gebliebenen Semmeln oder Kipferln ist eine so wunderbare schöne Erinnerung an eine Oma-Zeit, wo eben nicht alles gleich weggeworfen wurde und alle Mehlspeisen mit Milch und Semmeln und Zucker haben etwas Heimeliges, Tröstendes, Schönes für mich – so ähnlich wie Arme Ritter.
Ich fahre zu meinen Eltern und von dort dann auf die Party, die in diesem – meinem Heimatort stattfindet. Wann sind wir gemeinsam weg gegangen? Ich war ca. 15 / 16 Jahre, also vor über 30 Jahren. Wow !! Manche dieser ehemaligen Freunde sehe ich noch ab und zu, doch viele habe ich 10, 15 oder sogar 25 Jahre nicht gesehen. Ich muss zugeben, dass ich leicht nervös bin. Ich werde auch meinen ersten, langjährigen Freund nach über 20 Jahren wiedersehen. Es ist einer dieser wunderbaren warmen Sommertage und ich entscheide mich für ein leichtes, rotes Sommerkleid.
Von den Meetings in meiner Firma bin ich Pünktlichkeit gewöhnt, absolute Pünktlichkeit, hier gehen die Uhren anscheinend anders. Um 19:00 soll es losgehen, da sind ca. 5 Personen anwesend … langsam trudeln ein paar so ab 19:30 ein und ab 20:00 wird es dann voller. Mir ist es inzwischen ganz angenehm, ich nehme die Gelegenheit wahr, mit allen Neuankömmlingen zu plaudern und zu trinken. Dann gibt es – wie es bei uns bei einem Heurigen üblich ist – eine ordentliche Brettljause und dann das Süße. Manche wollen schon rauchen, aber ich esse so langsam, oder rede soviel dabei, dass sie einfach warten müssen. Mein Kirschenmichel schmeckt hervorragend, ist aber für die Optik – jetzt im Verhältnis zu einer Nuss-Eierlikörtorte – nicht ganz so beeindruckend.
Und dann ist alles plötzlich wieder wie früher. Was waren das für herrliche Zeiten, alle waren so unbekümmert, man hatte nicht wirklich was zu tun, außer in die Schule zu gehen und ab und zu auf ein Konzert. Jeden Samstag haben wir uns getroffen zum Plaudern, zum Trinken, zum Blödeln, zum Spaß haben, zum Musik hören oder einfach nur um mit anderen zusammen zu sein und nicht daheim zu sein. Wunderbar !
Mit allen werde ich sofort wieder „warm“. Beinahe nahtlos können wir an damals, an vor-30-Jahren anknüpfen, es ist einfach nicht zu glauben, dass so viel Zeit vergangen ist. Wir fühlen uns auch plötzlich wieder wie 16. Es gibt sogar einen DJ, der uns Plattenwünsche erfüllt und die Zeit ist endgültig zurückgedreht, als wieder alle Lieder erklingen, die wir damals auf unseren legendären Parties rauf und runter gehört haben mit schillernder Disco Kugel in der Mitte des Raumes, mit Alkohol, mit Zigaretten, einfach schön dieses Leben damals. Wir hören natürlich ganz viel Ambros und singen laut mit, Tina Turner, Spider Murphy Gang, Blondie, Queen, Nena, Abba usw.
Fast alles sehen fast genauso aus wie damals, einige Kilos mehr vielleicht. Zwei Pärchen haben sich in dieser Zeit näher kennengelernt und sind seit mehr als 30 Jahren zusammen und noch immer glücklich. Gratulation !! Das finde ich wirklich sehr bewundernswert. Die meisten meiner Jugendfreunde haben inzwischen große Kinder, einer sogar ein kleines Enkelkind. Unglaublich. Ich mit meinem 5jährigen passe nicht so ganz in den Durchschnitt, aber das macht gar nichts. Einer hat sogar erst eine süße einjährige Tochter, die auch kurz dabei ist. Wir lachen viel, erzählen uns so viele Geschichten von früher, jeder weiß irgend einen Teil einer Geschichte und zusammen findet man dann wieder den richtigen Anfang und auch ein mögliches Ende dazu.
Am nächsten Tag sah die Welt damals natürlich anders aus: lang ausschlafen, Brummschädel, Vorwürfe der Eltern, noch schnell Schularbeiten fertig machen, Schwüre nie wieder was zu trinken und schon gar nicht zu rauchen. Und dann wieder eine neue Schulwoche mit der Vorfreude auf den Samstag. Irgendwie schön, dass man aus dem Alter raus ist, aber auch sehr schön, dass man das alles erleben durfte.
Unsere Party ist so toll, ich bin wieder mal bei den Letzten, gegen 4 Uhr in der Früh beschließe ich aber dann doch heim zu gehen. Und alle wollen eine Wiederholung, nicht erst in 5 oder 10 Jahren, sondern bald, alle 2 Jahre zumindest. Alle wollen wieder einen Abend das Gefühl haben, dass noch alles offen ist, noch alles möglich ist im Leben, man noch alles in der Hand hat, man noch einmal jung ist.
Und ob ich eingeladen werde oder nicht – ich werde ganz sicher dabei sein !!
