Cousinentreffen im Burgenland – mittendrin im Scheiterhaufen

Teigspachtel #36 Scheiterhaufen (aus „Vollpension Kuchen von der Oma“, Pichler Verlag)

„Weißt du noch ...?“ ist einer der schönsten Satzanfänge für mich. Er bedeutet nicht nur, dass man gemeinsame Erinnerungen hat, sondern sich auch gerne daran erinnert und je nach vergangener Zeitspanne kommen dann die unterschiedlichsten Ergebnisse raus, meist lässt dieser Satzanfang aber Platz und Raum für gemeinsames Zurückdenken, Erinnern und die Vergangenheit ist plötzlich wieder ganz präsent. Interessanterweise sind so manche Erinnerungslücken ganz groß und andere Ereignisse sind bis ins Detail abgespeichert, sogar damalige Gefühle oder Sätze oder Nebensächlichkeiten wie die Größe oder Art von Knöpfen einer bestimmten Lieblingsweste sind ganz genau abrufbar. Oft gibt es ein Foto als Anhaltspunkt, und ich denke, man erinnert sich dann auch sehr oft eigentlich an das Foto und damit wird die ganze Gefühlswelt von damals wieder aufgeweckt und plötzlich ist man mitten drin in einer Geschichte von vor 30 Jahren oder gar vor 40 

Sehr gut geeignet für diese „WeißtdunochSatzanfänge ist meine Cousine, die endlich mal zu mir ins Burgenland zu Besuch kommt. Wir versprechen uns gegenseitig, dieses Mal keine Steuerangelegenheiten zu regeln, sondern uns einfach nur zum Vergnügen zu treffen. Ganz privat. Einfach so. 

Und so ist es selbstverständlich, dass es eine warme Mehlspeise zu essen gibt, wir lieben sie beide, und alle anderen Familienmitglieder sind immer eher leicht beleidigt, wenn „sowas“ auf dem Mittagstisch steht. Es wird ein Scheiterhaufen.  

Ich nehme nicht nur Semmeln, wie das Rezept sagt, sondern mische Weißbrot mit Kipferl, erscheinen mir nur Semmeln doch zu langweilig. Solche Speisen wurden ja früher eher als „Restlverwertung“ gekocht, ich habe jedoch selten 6-8 altbackene Semmeln übrig und so kaufe ich extra frisches Weißbrot, das ich eben schnell auf „alt“ backe, indem ich es im Backofen genau richtig toaste. Nicht steinhart, aber auch nicht weich. Schön knusprig eben.  

Milch wird mit Eiern, Zucker und etwas Salz vermischt. Die dünn geschnittenen Äpfel werden in ein Bad aus Rosinen, Rum, etwas Wasser, Zimt und Zitronenschale gelegt. Dann werden die Semmeln/Kipferlscheiben in das Milch-Ei-Gemisch getunkt und abwechselnd mit den aromatisierten Äpfeln in eine Auflaufform geschlichtet. Dann wird der Scheiterhaufen ca. 45 Minuten gebacken. Es kommt noch eine Baiserhaube aus Eiklar und Kristallzucker darüber, wird nochmal ca. zehn Minuten gebacken, bis die Schneehaube eine hellbraune Farbe angenommen hat. 

Und dann steht der Scheiterhaufen auf dem Tisch. Was soll ich sagen? Himmlisch, wäre wohl angebracht. Dieser Geruch von einer warmen Mehlspeise, Apfel, Zimt und Kindheit, alles miteinander und meine Cousine und ich mitten drin. Wir könnten uns glatt reinsetzen in den Scheiterhaufen, so gut schmeckt er. Unsere Vorfahren waren ja auch nicht dumm, aus wenigen Zutaten, etwas Zucker, viel Geduld, Zeit und Liebe wurden einfach die herrlichsten Mahlzeiten hergestellt. Ich mochte es früher auch nicht so gerne, nur „was Süßes“ zu Mittag, wie etwa Zwetschkenknödel, oder Kaiserschmarren, ich wollte das immer lieber nach etwas Deftigeren als Nachspeise. In der heutigen schnelllebigen, stressigen Zeit, wo niemand Zeit für irgendwas hat, erfahren diese alten Rezepte wieder eine besondere Schätzung – und das ist sehr schön. Und ich liebe sie mehr denn je. 

Und das Schönste am Scheiterhaufen-Essen ist, dass meine Cousine mit mir is(s)t, dass wir uns gemeinsam an unsere Kindheit erinnern, dass wir drauf kommen, dass eigentlich gar niemand den anderen beneiden hätte brauchen, jeder hatte seine schönen und weniger schönen Kindheitserlebnisse. Manche Geschichten erscheinen jetzt (nach mehr als 40 Jahren) im anderen Licht, jeder hat auch seine eigene Sicht und eigene Interpretation von gewissen Erlebnissen. Schade nur, dass wir so wenig Zeit geteilt haben, damals; schön, dass es jetzt wieder möglich geworden ist, anders möglich geworden ist, wir sind reflektierter geworden, uns ähnlicher geworden, verstehen uns besser. Manches braucht eben seine Zeit, schön, dass es JETZT so ist. Und wir reden ohne Ende – da sind wir uns ähnlich – und reden und trinken, und essen und reden. In vielen Dingen sind wir gleicher als wir jemals dachten. Danke für dieses wunderschöne Kindheitsessen mit Dir, liebe Pia und jetzt, wo wir beide bald 50 werden, denke ich, dass wir uns NEU gefunden haben, eine andere Basis haben als damals und das ist sehr schön.  

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